Fernando Perez

Interview mit Donata Dröge und Sonja Hofmann

"Die Komödie 'LA VIDA ES SILBAR', ist der einzige Spielfilm, den im vergangenen Jahr das cubanische Filminstitut ICAIC realisierte. Er wurde im Dezember 1998 auf dem XX. Filmfestival in Havanna uraufgeführt und lief mit großem Erfolg in den cubanischen Kinos. Während der Berliner Filmfestspiele sprachen Donata Dröge und Sonja Hofmann mit dem Regisseur Fernando Pérez."

Ila: "LA VIDA ES SILBAR handelt von Identitätssuche und dem Streben nach Glück. Gehört beides für dich zusammen?"

Fernando Pérez: "Für mich sind das zwei Seiten einer Medaille. Man kann nicht glücklich sein, wenn man lügt. Und andererseits macht uns natürlich nicht immer glücklich, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Das ist ein kompliziertes Problem, und ich habe dafür auch keine Lösung parat. Das einzige, was ich bieten kann, sind meine persönlichen Erfahrungen. Vielleicht ist meine Auffassung vom Glück ja auch eine ganz andere als deine. Genau darum geht es mir in dem Film: Daß die Auffassungen der anderen Menschen respektiert werden."

Ila: "Was hat es mit dem Pfeifen auf sich?"


Fernando Pérez: "Die Idee kam mir eines Tages zu Hause, mit meiner Tochter Bebé zusammen (die übrigens auch in dem Film die 'Bebé' spielt, Anm. d. Red). Sie liebt es, zu schauspielern, und an diesem Tag redete sie und pfiff gleichzeitig. Das hörte sich so komisch an, wir mußten beide furchtbar lachen. Da dachte ich, eigentlich sollte man einmal eine Film machen, in dem das Pfeifen der Ausdruck der Lebensfreude ist. Dabei fällt mit noch eine Anekdote ein: Man könnte meinen, daß ich mir die Sache mit Julia, die immer ohnmächtig wird, wenn sie das Wort `Sex' hört, ausgedacht habe. Aber das stimmt nicht. Nicht in Cuba, sondern irgendwo in England, das habe ich mal in der Zeitung gelesen."

Ila: "Teilweise ist dein Film ja ziemlich kritisch. Da verläßt eine Mutter, die auch noch Cuba heißt, ihren Sohn, weil er nicht ihren Vorstellungen entspricht. Und Elpidio, der Sohn, fordert die Freiheit seiner Gedanken ein. Gab es deshalb Probleme?"

Fernando Pérez: "'Kritisch' ist, glaube ich , nicht der passende Ausdruck für den Film. Ich möchte meine Wirklichkeit wiedergeben, eine Wirklichkeit, die vor allen Dingen vielschichtig ist. Ich lebe in Cuba, ebenso wie Elpidio, und mit all meinem Zweifeln und Widersprüchen fühle ich mich als Teil der cubanischen Gesellschaft. Ich möchte, daß es Platz für verschiedene Sichtweisen gibt. Man muß die Widersprüche und Krisen als solche wahrnehmen, denn nur so kommt Bewegung in die Gesellschaft. LA VIDA ES SILBAR wurde tatsächlich ohne Problem in Cuba gezeigt, und ich hatte den Eindruck, daß der Film auch positiv von den Kritikern aufgenommen wurde. Natürlich gab es auch welche, denen er nicht gefallen hat, aber so wurde wenigstens darüber diskutiert."

Ila: "Der andere Film über Cuba SI ME COMPRENDIERAS [Rolando Díaz, Cuba 1998- d.Red.], soll eher skeptisch aufgenommen worden sein. Kannst du dir vorstellen warum?"

Fernando Pérez: "Das ist wahr. SI ME COMPRENDIERAS wurde nur ein einziges Mal gezeigt, mein Film viel öfter. Ich weiß auch nicht genau, woran das lag.

An sich ist in Cuba der Freiraum für die Kunst, besonders für das Kino, ziemlich groß. Trotzdem gibt es immer wieder Filme, die offensichtlich störender sind als andere. Ich denke an ALICIA EN EL PUEBLO DE MARAVILLAS von Daniel Díaz Torres, das war so ein Film, der überhaupt nicht verstanden wurde, von den Behörden, da gab es dann Probleme mit der Aufführungserlaubnis. Warum, ist mir schleierhaft. Nun gut, in dem Film wurde viel von unserer heutigen Realität gezeigt, und es wurden die Bürokratie, die Heuchelei und die Korruption kritisiert, aber das alles in einem so positiven Grundton ... Der Film wurde völlig mißverstanden, es hieß, er sei negativ und konter-revolutionär. Es kann sein, daß SI ME COMPRENDIERAS von offizieller Seite auch nicht gebührend gewürdigt wurde, und ich hoffe, daß dieser Film doch noch den Platz in den Kinos bekommt, der ihm zusteht."

Ila: "Wie sind denn die Produktionsbedingungen heute in Cuba?"

Fernando Pérez: "Mit unserer Filmindustrie, die 1959 gegründet wurde, ging es bis 1990 mehr oder weniger stetig bergauf. Jedes Jahr wurden acht bis neun Spielfilme produziert, an die 40 Dokumentarfilme, außerdem noch jede Menge Zeichentrickfilme. Seit Anfang der 90er steckt das Land in einer tiefen Wirtschaftskrise, und davon ist das Kino natürlich auch betroffen. Jetzt gibt es meistens bloß einen Spielfilm im Jahr, und kaum Dokumentarfilme. Außerdem müssen wir die Filmproduktionen jetzt mit Devisen bezahlen. Für einen guten Spielfilm braucht man an die 200.000 $ und die muß man erst einmal auftreiben."

Ila: "Wie hast du denn deinen Film finanziert?"

Fernando Pérez: "Erst einmal habe ich vom Fonds des Rotterdamer Filmfestivals 25.000 $ Zuschuß bekommen. Dann habe ich das Drehbuch beim Sundance Festival eingereicht, und daraus hat sich dann ergeben, daß der japanische Fernsehkanal NHK die Vertriebsrechte für Japan gekauft hat, das waren dann noch einmal 25.000 $. So hatte ich schon ein Polster, als ich beim ICAIC angefragt habe, ob sie die Produktion übernehmen. Sie haben zugesagt, und so wurde der Film komplett in Cuba gemacht. Den weltweiten Vertrieb hat dann die spanische Produktionsfirma Wanda übernommen."

Ila: "Das hört sich ja doch ziemlich anstrengend an Trotzdem ist dein Film sehr fröhlich. Wo nimmt du das her?"

Fernando Pérez: "Erinnerst du dich, was die Touristin Chrissi im Film zu Elpidio gesagt hat? »Nie ist die Morgendämmerung so nah, als dann, wenn die Nacht am dunkelsten ist« - Das hat Ho Tschi Minh gesagt."

Donata Dröge, Sonja Hofmann
In: Ila-info, Nr. 223, März 1999, S. 51-52

Fernando Perez

Last update: 18.1.2016